Aus den Notizen
unfertig, 2023
Es wurde geboren von seiner Mutter, an einem Montag fünfeinhalb Monate nachdem die Welt hätte untergehen sollen. Die Welt hatte wieder Atem geholt, als doch nur einige Computer mit Zeit-Zählsystemen über 1999 ausgestattet werden mussten und eine plötzlich nicht mehr so laute Minderheit zögerlich aus ihren Luftschutzkellern kroch. Über sein Geburtsjahr würde später in den Annalen der MeteoSchweiz geschrieben: «Das Jahr 2000 war viel zu warm, insgesamt sei der Mai rund 3 Grad Celsius zu warm gewesen, die Obstbäume und Margeriten blühten je mit einem Vorsprung von zwei bis drei Wochen.»
Seine Mutter presste es kurz vor elf Uhr nachts in die Welt, in einen Saal des Zürcher Unispitals, und die viel zu laue Frühlingsluft war getränkt vor Erschöpfung. Es wurde mit einer Glocke aus ihr gezerrt – wie ein grosser Saugnapf, wurde ihm später erzählt, der, wie in der Erzählung immer angehängt wurde, nicht richtig hielt wegen seiner vielen Haare. Die Glocke verformte seinen Kopf wie ein Ei und seine Eltern kriegten Panik, als sie auf es schauten, und die zuständige Person im Raum musste ihnen versichern, dass sein Schädel noch weich sei, und dass er sich innert Kürze wieder zurückforme.
Es wurde geboren von seiner Mutter hinein in die Wiege zweier (sich) liebender Eltern, in die Hände seines Vaters, der gleich seinen Job kündigen würde und an die Brust seiner Mutter, für die es das erste Baby überhaupt war, das sie hielt.
Die Welt machte Versprechen und war etwas zu gross und der fehlende Schlaf klebte seinen Eltern an den Gliedern wie Öl. Es hatte Koliken und schreite viel. Seine Mutter war damals fünf Jahre älter als es es jetzt ist. Seine Grosseltern begannen es, ihr erstes Grosskind, freitags mit auf die Arbeit zu nehmen. Es machte Mittagsschlaf auf dem Bettsofa in der Kanzlei seiner Grossmutter und auf dem Bauch seines Grossvaters. Bei seinen Grosseltern spielte es Memory (bis sein erster Bruder besser wurde als es), sang Lieder und konnte es sich länger vom Haarebürsten drücken. Es wurde mitgenommen in den Zoo und später auf das Segelboot.
Das Kind wurde geboren von seiner Mutter; ein kleines, schweres Kind, behütet von genug Seiten. Die Luft zwischen seinen Eltern war schwer vor Erwartung und Vorhaben und Zukunft. Man blickte ihm mit weiten Augen ins Gesicht. In seinen Zuhausen wurde Berndeutsch und Zürideutsch und Finnisch mit ihm gesprochen und wenn etwas nicht für das Kind bestimmt war, wurde es auf Englisch gesagt, also verstand es bald auch das.
Sonntag. Das Kind sitzt zum Abendessen seinem Vater gegenüber. Reife kommt von Erschöpfung, schliesst es aus dem vorangehenden Gespräch. Es beuge sich über den Esstisch, der so alt ist wie sein kleinerer Bruder. Die Kinder wurden gross in den Armen dreier Generationen Eltern; alle entschlossen, sich selbst und ihren Kindern besser zu sein. Reife ist Kapitulation, legt es nach und schaut dabei auf seinen Vater.
Ich wurde geboren von meiner Mutter im halb angebrochenen Mai des Jahres 2000